Begegnung im Pool des Alten Hallenbades - Die Tigerin. Zwei nicht so absonderliche Liebesgeschichten
Das Theaterstück, eine Produktion des Vorarlberger Ensembles „Schau Spiel Raum“, inszeniert von Wolfgang Schnetzer, frei nach einer Erzählung von Walter Serner und Briefen von August Strindberg und Frida Uhl, macht das Alte Hallenbad in Feldkirch über gute 90 Minuten zu einer Filiale des Dadaismus und darüber hinaus zu einem großartigen Theaterabend, der vom Premierenpublikum heftig applaudiert wurde. Zu recht.
Faszination der Boheme
Als der Dadaismus an einem Februartag 1916 in der Spiegelgasse 1 in Zürich den Urschrei Dada Dada Dada röhrte, war das Cabaret Voltaire mit seinen Protagonisten Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck, nebst illustren Gästen aus aller Welt, Geburtsstätte und Schmelztiegel für Kunstgattungen und Stile. Dada wurde zum comme il faut der Kunst, war hypermodern, provozierte, wo es nur ging und hob die Trennung von Leben und Kunst auf. Die Bewegung war am Beginn der Zwanzigerjahre wie ein Lauffeuer zu einem weltweiten Netzwerk geworden, eine „Mouvement international“, dessen AkteurInnen und ProtagonistInnen in die Metropolen der Welt ausschwärmten. Dada wurde zum Urknall der Avantgarde und Impulsgeber für Surrealismus, Popkunst, Fluxus und Punk. Dada war nicht nur ein Ohnmachtsprotest, dass die Kunst nichts gegen den Krieg auszurichten imstande war, Dada war und ist der radikale Versuch, existierende Haltungen und Denkweisen, Ideen und Werte strategisch ad absurdum zu führen. Und ist bis heute aktuell. Gerade im Stück, das am 10. März Premiere hatte.
Inszenierung und großartige Theatersprache
Die Schnetzer’sche Inszenierung, eine Begegnung im Pool des Alten Hallenbades in Feldkirch, ist ein großer theatralischer Wurf, ein Stück, das elektrisiert, sprachlich, gesanglich, schauspielerisch, bis hin zum Mann am Piano: Schnetzer macht aus der „Tigerin“ von Walter Serner, ein Klassiker der Moderne, erstveröffentlicht 1925 in Berlin, in einer Collage mitsamt den Briefen, die sich der Weiberhasser August Strindberg und seine Geliebte Frida Uhl, Journalistin und Übersetzerin, zwischen 1893 und 1902 schrieben, einen wunderbaren Theaterabend. Wir gehen in den Pool, aber nicht zum Schwimmen, sondern vergnügen uns in einem sehr satirisch anmutenden Theaterraum. Schnetzer schreibt dem Ensemble der Schauspielerinnen und Schauspieler für diese „absonderliche Liebesgeschichte“ genuin einen Text ein, die er mit verschiedenen theaterstilistischen Mitteln bricht und in die Gegenwart holt. Mit den Selfies, die wie in Echtzeit auf zwei Screens projiziert erscheinen, mit Musik und Gesang, die Schnetzer neu dazu arrangiert und der „Begegnung im Pool“ glückliche Theatermomente schenken. Die ursprünglichen Dialoge aus dem Roman von Walter Serner sind wesentlich gekürzt und in schnelle Rede und Gegenrede umgeschrieben, zu einem Sprachduktus, der diese halbseidene Welt der 20er-Jahre Boheme und deren kuriosen Lebenswelten in ihrer Stilistik spiegelt. Es ist die Sprache der Halb- und Unterwelt, der dort verkehrenden Möchtegerns und Adabeis, der Kleinkriminellen und Gauner, mit all diesem Personal und seinem Aktionsradius zwischen dem Mont-Martre in Paris und dessen rotseidenen Milieu der Illusionen, den Grand Hotels und Spielcasinos an der Cote d’Azur, von Nizza bis Cannes. Wie Brecht so hat sich auch Serner nie um Plagiatsfragen gekümmert und heftig abgekupfert, wo es nur ging. Sei’s drum.
Fec und Bichette
Die Hauptfiguren in der Geschichte aus dieser monde scandaleuse sind Henri Rilcer, genannt Fec, und die „Tigerin“ Bichette. Er ist ein allerorts bekannter Baron Münchhausen und sich fadisierender Hochstapler im Ruhestand, der Bichette in Paris begegnet und mit ihr eine Vereinbarung trifft. Sie wollen ihre Liebe „machen“, das heißt, der Langeweile des Alltags, dem nichtssagenden Leerlauf entkommen und der einzigen Alternative frönen, nämlich „in den Duft“ gehen. Sehr bald entfliehen sie der Seine Metropole und flüchten nach Nizza. Dort produzieren sie sich im halbseidenen Schein großer Liebesallüren, die sich nicht zimperlich Liebenden reflektieren und interpretieren das Gewesene, der Rückblick mit sprachlichen Mitteln bleibt jedoch Selbstzweck. Die Welt der Gefühle, das erhoffte Urereignis in Liebe bleibt aus. Fec, ein dandyhafter Möchtegern-Playboy bemüht eine ganze Trickkiste an manipulativen Scheinvorhaben, bis er sich plötzlich mit der Situation konfrontiert sieht, dass sein Plan von den Tücken des banalen Lebens durchkreuzt wird. Bichette ist aus Nizza verschwunden und hat sich ihren eigenen Plan gemacht.
Am Ende stirbt der Held, getroffen von einer Kugel, die eigentlich Bichette gegolten hätte. Er fällt auf der Treppe zur Metro, geht aus dem Duft, um die Ecke. Sie haben ihre Liebe öffentlich zu Ende exerziert, mittels einer Sprache, die sich permanent selbst hinters Licht geführt hat. Deren beider absurde Vorstellungen und Allmachtsphantasien, sich über die Realität hinwegzusetzen, sind am Ende von der Realität ad absurdum geführt. Der Zuschauer ist ihren Weg – entlang der großartigen analytischen Struktur der Schnetzerschen Inszenierung und der faszinierenden schauspielerischen Leistungen aller im Ensemble – gute 90 Minuten lang mitgegangen. Serner hatte sich nach seinem 1918 verfassten dadaistischen Manifest „Letzte Lockerung manifest dada“, das von Kritikern als „glänzende Analyse des Zeitalters des vollendeten Nihilismus“ bezeichnet wurde, während der Oberdadaist Tristan Tzara Walter Serner 1920 einen „größenwahnsinnigen Außenseiter“ nannte. Mit dem Roman „Die Tigerin“ hatte sich Serner von der dadaistischen Bewegung abgewandt, das Stück förderte noch viel Kritik zutage und sorgte rundum aufgrund des zwielichtigen Milieus und der angeblich sexualisierten Sprache des Stücks für skandalöse Erregungen.
Die Magie der Kälte
Die Halbwelt, die von einem großartigen Team, mit Bühnenbild, Kostümen, Gesang und Piano, - die Schnetzer neu in sein Stück als Mittel der Distanzierung und Brechung mit aufnimmt, wunderbar die Stimme von Patricia Mathei, begleitet von dem bestens disponierten Pianisten Martin Rüdisser – und die darin ausgestrahlte Magie der Kälte haben eine große Faszination. Es ist (auch) die Welt der Federboas kleiner Nutten, der Mikrokosmos der Pariser Pseudoschickeria und schummrigen Etablissements. Schnetzer richtet unterschiedliche erzählerische Perspektiven ein, so dass die handelnden Figuren, einer stringenten Logik folgend, erzählerisch sich permanent auch selbst und die mithin die anderen kommentieren. Das eigentliche Szenario, Fec, der kleine Zuhälter, und Bichette, die kleine Nutte, die Serner im schwärmerischen Anflug als „Die Tigern“ bezeichnet, beide sträuben sich gegen die Liebe. Das Herz bleibt ein gordischer Knoten, die Liebe ist nach Amazon ausgewandert und hat auf der Suche nach Verwirklichung ihres Traumes am Tabledance Platz genommen. „Das ganz Neue“, das die beiden Protagonisten machen wollten, ist zu einem Negligé Fummel hohl geworden. „Banal und grotesk wird es enden“, lässt der Regisseur Schnetzer Fec schon bald zu Beginn sagen, während er seiner Tigerin anschafft, sich ins grüne Kleid fürs Casino anzuziehen, „Du wirst dich anziehen, dass du den ganzen Abend schwitzen wirst“, kommandiert ihr Fec, sie soll für andere die „Verführung in Person“ sein. Dabei kann es einem als Zuschauer kalt über den Rücken laufen. Der Herr Baron erhofft sich in seinem Arbeitswerkzeug Bichette „die Wiederkehr des Appetits“ bei anderen, doch genau diese Bichette hat den Kontrakt längst aufgekündigt und ist nach Monte Carlo. Der wahre Ernst ist das Leben, „weil es auf die Dauer mit jedem langweilig wird“. Es war Bichettes Absicht, Fec verliebt zu machen, um ihn dann zu verlassen. Ein magischer Theaterabend. Ein Stück, das elektrisiert.