Der letzte Schlag

Nachruf. Bürgerschreck, Popstar, Poet: Der Dramatiker Wolfgang Bauer ist vergangenen Freitag 64-jährig verstorben.

Wolfgang Bauer
Wolfgang Bauer, 1941—2005
Rebell gegen die Verlogenheit

Der Ort, an dem Wolfgang Bauer stets zu finden war, war das Foyer. 1941 in Graz geboren, sollte er mit seinen Stücken „Magic Afternoon“ und „Gespenster“ mit die größten Theaterskandale in der Geschichte der Zweiten Republik lostreten, doch im Unterschied zu seinem nicht minder rebellischen Kollegen Peter Handke verharrte Bauer stets im Abseits. Bauers letztes Stück, uraufgeführt 2005 beim steirischen herbst, trug vielleicht nicht zufällig den Titel „Foyer“ und erzählte vielleicht auch nicht ganz zufällig die Geschichte eines verunglückten Theaterabends: Ein Dramatiker besucht darin seine eigene Uraufführung — und erhält wegen Zu-spät-Kommens keinen Einlass. Während auf der Bühne das große Theater stattfindet, muss der Dramatiker im Foyer zurückbleiben.
Bauer lebte eine umgekehrte Schriftstellerbiografie: Seine Hauptwerke schuf er gleich zu Beginn. Er war erst 27 Jahre alt, als er 1968 mit „Magic Afternoon“ seinen größten Erfolg feierte — undeinen Klassiker der Nachkriegsdramatik vorlegte.
Das Stück über den Nachmittag von vier Jugendlichen, der bestimmt ist von Langeweile und jäh ausbrechenden Aggressionsschüben, brachte den Newcomer auf die Titelseiten der Zeitungen — und verwandelte Graz quasi über Nacht in die heimliche Literaturhauptstadt Österreichs. Mit „Change“ (1969) und „Gespenster“ (1974) erweiterte Bauer sein Werkverzeichnis um zwei weitere wichtige Arbeiten. Auf seinen nächsten Erfolg musste er allzu lange, nahezu dreißig Jahre, warten: 2001 wurde, quasi zum 60. Geburtstag des Dramatikers, das bereits drei Jahre alte Stück „Café Tamagotchi“ geradezu überstürzt vom Wiener Rabenhof uraufgeführt. 2004 trat Bauer nach dem Schlussvorhang von „Foyer“ auf die Bühne — und wurde minutenlang akklamiert.
Die sechziger Jahre waren die Popjahre, auf den Bühnen liefen Popplatten, Wolfgang Bauer schrieb Popstücke, und er war - ein Popstar. Peter Handke bemerkte, er habe noch kein Theaterstück gesehen, in dem Musikstücke ähnlich wichtig gewesen wären wie in jenen Bauers. „Aber man weiß ja, wie das mit Popstars so ist: Langsam verebbte das Publikumsinteresse, und als Bauers Stücke Mitte der siebziger Jahre immer surrealer und esoterischer wurden, stieß er nur noch auf Unverständnis“, schrieb der Theaterkritiker Wolfgang Kralicek zum 50. Geburtstag des Dramatikers.
Bauers Stücke — wie etwa Tohuwabohu“ (1992) und „Die Menschenfabrik“ (1996) wurden von Mal zu Mal experimenteller. Weil er stur genug war, jedes Mal etwas Neues versuchen zu wollen. sagte er, dass er sich als Dramatiker nie auf eine Masche festlegen habe wollen; dass es dennoch passiert ist und Bauer stets mit frühen Werken in Verbindung gebracht wurde, war wohl das Unglück seines Schriftstellerlebens.
Das Glas Bier, das Viertel Wein, die roten Marlboro: Bauer wurde in Graz als legendärer Stadtverunsicherer bekannt. Sagenhaft seine Eskapaden, wenn er etwa mit Romancier Franz Innerhofer in Kneipen, zwischen Männern mit roten Nasen und Bierkrügen saßen, seinen Trinkerzerzitien frönte. Vom US-Autor Raimond Carver ist der Satz überliefert, er sei eine Zigarette mit Mann gewesen. Für Bauer kann Selbiges gelten.
Leben und Werk, Erfolg und Niedergang waren Ausdruck der Rebellion gegen erbauliche Theaterabende, gegen die Verlogenheit der Nachkriegsjahre, gegen etablierte Erfolgsstorys. „Wenn er Wiener Walzer tanzt, zieht er Furchen durchs Parkett. Einen knallroten Kopf, er zischt und raucht, er juchzt. Damen drehen sich nach ihm um schrieb einst der Schweizer SchriftsteIler Urs Widmer über ihn. „Seine Leber möchte ich persönlich nicht kennen lernen. Ich bin allerdings ein Hypochonder, er nicht - er schlägt mit seiner Faust zu, bevor sich ein Todesgedanke in seiner Zelle bilden kann.“ Der letzte Vorhang, Der letzte Schlag: Vergang Freitag verstarb Wolfgang Bauer im Alter von 64 Jahren im Grazer Landeskrankenhaus.
Zur Person
Bauer wurde am 18. März 1941 in Graz geboren. Seine Karriere begann im Forum Stadtpark, wo 1962 seine ersten beiden Stücke „Der Schweinetransport“ und „Maler und Farbe“ uraufgeführt wurden. Mit seinen Figuren, gelangweilten Existenzen, die keinerlei politische Ambitionen haben und deren Überdruss oft in sinnlose Gewalt mündet, schuf er ein provokantes Bild der Zeit. Das Werk Bauers wurde in mehr als 24 Sprachen übersetzt und in 35 Ländern aufgeführt.
W. Paterno und R. Schneider

Profil, 29 August 2005, S. 118
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